Beitrag von meiner lieben Freundin und Kollegin Bora Bonder
~ S I C H E R H E I T ~
Eines der großen Themen im Zusammenleben mit dem Hund heißt S I C H E R H E I T.
Im Laufe der Jahre ist mir sehr häufig aufgefallen, dass Hundebesitzer gerade in den eigenen vier Wänden, wenn es um Besuch von „Fremden“ Menschen geht, immer wieder mit ihrem Hund oder ihren Hunden in einen verbal lautstarken Rollenkonflikt geraten.
Ein Rollenkonflikt ist eine besondere Form sozialer Konflikte. Er besteht, wenn sich für einen Träger einer sozialen Rolle, d.h. für ein sozial handelndes Subjekt, die Erwartungen seiner in einer Situation relevanten Bezugsgruppe widersprechen. (Text Quelle: Wikipedia)
Warum ist das so???
Also, als aller Erstes sollte ich mir als Hundebesitzer im Klaren darüber sein, was mein Hund für eine Veranlagung in sich trägt. Habe ich einen Mischling, ist das manchmal gar nicht so einfach herauszufinden, aber eine gute Beobachtungsgabe und eine grundlegende Sachkunde im Bereich Instinkt Veranlagung (Instinktkreis Hund) können auf jeden Fall eine grobe Einschätzung für das mitgebrachte Potenzial meins Hundes geben.
Habe ich einen Rassehund, sollte es einfacher sein, mir einen Überblick über die Instinkt Veranlagung meines Hundes einen Überblick zu verschaffen. Bin ich mir unsicher in Bezug auf das „rassetypische Verhalten“, empfehle ich Hundebesitzern, sich von Rassekennern (Ich habe bewusst nicht das Wort Züchter gewählt.) oder auch Hunderassen-Profis Bücher und Webinare anzuschauen oder auch mal ein Seminar zum Thema Hütehund, Jagdhund , Treibhund … zu buchen, um sich der Geschichte und des Ursprungs in Bezug auf die Instinkt Veranlagung bewusst zu werden. Wichtig dabei ist es, dass die jeweilige Rasse nicht glorifiziert wird, sondern ganz neutral auf die jeweiligen Wesenszüge und die damit eventuell eingehenden Probleme aber auch Chancen und Möglichkeiten in unserem gemeinsamen Zusammenleben in dieser Gesellschaft aufmerksam gemacht wird. Das können vor allem diejenigen Menschen gut vermitteln, welche die Rasse als Subjekt und nicht als Objekt betrachten.
Beispiel: Ich habe zuhause einen Hütehund. Der Ursprung des Hütehundes ist die Arbeit an den Schafen. Um dieser Aufgabe optimal gerecht zu werden, ist es eine wichtige Voraussetzung, dass die Hunde sehr sensibel für optische und akustische Reize sind. Somit ist eine sehr feine Kommunikation die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit, sowohl an den Schafen selbst als auch in der Zusammenarbeit mit dem Schäfer. Das wiederum zeigt, dass der Hütehund in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Schäfer steht und es für die Zusammenarbeit nicht gewünscht war einen Hund zu züchten, der Eigeninitiative ergreift und von sich aus eigene Entscheidungen trifft, sondern eher einen Hund, der leicht zu beeinflussen ist und sich lenken lässt. Der Territorialinstinkt ist wie bei jedem anderen Hund immer noch vorhanden. Durch sein Abhängigkeitsverhältnis, wird dieser aber in der Eigenständigkeit (ohne den sicheren Hafen Mensch) sehr unsicher ausgelebt.
So, und jetzt kommen wir wieder zu unserer häuslichen Situation und dem Rollenkonflikt …
Wenn ich einen solchen Hund unbewusst oder auch bewusst beauftrage, auf mein Haus und meinen Hof aufzupassen, d.h. der Hund geht alleine in den Garten und sichert das Gelände ab, kann es zu signifikanten Konflikten kommen. Wenn er die Katzen auf eigene Entscheidung hin verjagt und unbefugten den Zutritt zum Garten verwehrt, ist das gewünscht. Wenn er aber die nette Nachbarin ankläfft, ist das unerwünscht. Deswegen wird er dann auch bei einem Besuch zunächst weggesperrt , da sein lautes Gebell und seine für die menschliche Wahrnehmung aufdringliche Art bei Letzterem ein unangenehmes Gefühl erzeugt.
Lasst mich ein paar Worte zum, Thema „wegsperren“ verlieren. Ich bin durchaus ein Befürworter von für Türgittern und sozial sinnvoller Begrenzung, vor allem wenn dies als Möglichkeit zu einem erweiterten Bewusstsein für den Hund führt und ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.
Bora, [06.02.2023 14:17]
Aber gerade bei sensiblen Hunden, bei denen man mit relativ wenig unüberlegten Handlungen viel innerlichen Schaden anrichten kann, sollte es ein Gesetz sein, sich immer wieder zu Fragen
„Wie fühlt mein Hund sich mit dem Ergebnis meines Handelns?“
und nicht
„Wie händele ich die Situation jetzt für mich als Mensch am bequemsten und einfachsten?“
Dass ein Hütehund, der territorial unsicher ist, in einem solchen Umfeld völlig überreagiert und sein ganzes Nervensystem dauerhaft unter Strom steht, ist für mich persönlich nur verständlich. Der Hund hat keinen souveränen Ansprechpartner. Er muss territoriale Konflikte allein lösen, denen er sich innerlich gar nicht gewachsen fühlt. Durch das dauerhaft angespannte Nervensystem ist es bei Hunden (bei Menschen im Übrigen auch) sowieso so, dass sie Situationen schneller als gefährlich, (sowohl in den eigenen vier Wänden, als auch draußen)einstufen als sie in der Realität sein mögen. Aus der Sicht vieler Hundebesitzer ist das ein unangenehmes Verhalten des Hundes, was auch zu einer inneren Anspannung auf beiden Seiten mit der Situation von Besuch im Haus oder der Wohnung führt. Es ist laut, der Stress des Hundes ist im eigenen Körper spürbar. Der Mensch versucht, um seinem "Dominanzanspruch" (Ich mag dieses Wort nicht, ist aber leider in vielen Köpfen noch genauso drin) Ausdruck zu verleihen noch lauter zu schreien als der Hund bellt, oder manche werfen auch gerne mal irgendwelche Gegenstände in Richtung des Hundes, schlimmstenfalls gar gezielt. So, und jetzt hat dein Hund einen Rollenkonflikt mit dir. Für ihn ist es so überhaupt nicht verständlich, dass du ihn jeden Tag beauftragst auf das Haus aufzupassen, aber in den Momenten wo es entscheidend ist und Besucher ins Haus kommen, ihm diese Aufgabe nicht mehr zutraust und ihn durch bestimmendes und für ihn ungerechtes Handeln auch noch in seiner Rolle, die du ihm doch selbst aufgetragen hast, demütigst.
Konkret bedeutet das, du hast nicht nur einen Hund, der Probleme mit Besuchern hat und sich dabei zum notorischen Kläffer entwickelt hat, sondern du hast ein dicken fetten Beziehungskonflikt mit deinem Hund oder innerhalb des Rudels, den du selbst erschaffen hast. Das Tolle dabei ist, alles, was du selbst erschaffen hast, durch Unwissenheit oder Bequemlichkeit, kannst du auch wieder "neu" erschaffen. Vielleicht nicht ganz so leicht und nachhaltig, als hättest du schon von Anfang an aus Sicht deines Hundes für Sicherheit gesorgt, aber es ist selbst bei älteren Hunden möglich, eine neue beziehungsorientierte Kommunikation zu erlernen, die ihm ein Gefühl von Sicherheit ermöglicht. Denn die Kommunikation ist der Spiegel der Beziehung ( Jan Nijboer). Wichtig dabei ist, dass du als Mensch jetzt die Verantwortung (Antwortfähigkeit) übernimmst und dir die richtigen Fragen stellst, denn „Dem guten Frager ist schon halb geantwortet.“ (Friedrich Nietzsche)
Was wäre eine optimale Verhaltensweise meinerseits,damit ich meinem Hund ein Gefühl von Sicherheit vermitteln kann ?
Was bedeutet S I C H E R H E I T überhaupt aus Sicht eines sozialen Beutegreifers ?
Was bedeutet Beziehung aus Sicht meines Hundes ?
Welche Bedürfnisse bringt mein Hund mit?
Wie kann ich auf diese Bedürfnisse eingehen und diese im Alltag gemeinsam mit ihm umsetzen? – Gerade Hütehunde können durch ihre mitgebrachten Wesenszüge ganz tolle Teamplayer sein.
Was muss ich im Alltag konkret verändern, damit mein Hund und ich nicht jedes Mal wieder in diesen stressigen Konflikt geraten ?
Und wenn du noch Einen drauf legen möchtest und ehrlich zu dir selbst sein kannst, könntest du dich noch fragen (Bei diesen Fragen geht es ganz einfach darum, wahrzunehmen was IST, nicht um Schuld oder Vorwürfe.) :
Wie S I C H E R fühle ich mich in mir selbst?
Brauche ich den Hund, um mich in meinem eigenen Zuhause S I C H E R zu fühlen?
Oder vermittelt mir mein Hund insgeheim doch die S I C H E R H E I T, die ich selbst benötige?
Würde ich mich in meinem Haus oder meiner Wohnung auch ohne Hund S I C H E R fühlen?
Ich habe jetzt bewusst keine konkreten Umsetzungs - „Maßnahmen“ an dieser Stelle erwähnt, da jedes Mensch & Hund Team einzigartig und individuell ist.
Das Thema S I C H E R H E I T ist ein sehr umfangreiches Thema, vor allem in Bezug auf die Umsetzung. Darum habe ich an dieser Stelle eine Situation eingehender beleuchtet. Es ist mir wichtig, ein Bewusstsein für das Problem der Hunde zu schaffen, die eines haben und damit einfach nicht gesehen werden. Auf der anderen Seite möchte ich die Chance für Menschen aufzeigen, sich selbst und die Beziehung zu ihrem Hund zu hinterfragen.
Vielleicht entsteht dadurch ein neuer gemeinsamer Weg, den man vorher nicht für möglich gehalten hätte. ~ ♡
Bora Bonder